Corona: Merkblatt mit Hinweisen für Helfer (Prof. Dr. Karutz)

COVID-19: Hilfen für Helfer

Prof. Dr. Harald Karutz, Mülheim an der Ruhr–www.harald-karutz.deCOVID-19: Hilfen für HelferIm Zusammenhang mit der Coronavirus-Krankheit (coronavirus disease)entwi-ckelt sich derzeit eine Krisenlage, die Einsatzkräfte des Rettungsdienstes, der Feuerwehren, des Katastrophenschutzes und der Polizei sowie sämtliche im Gesundheitswesen tätigenMenschen, insbesondere Ärzte und Pflegepersonal,aller Voraussicht nach vor erhebliche Herausforderungenstellen wird. Auf die-semMerkblatt sind einige Hinweise zur psychosozialen Vorbereitungsowiezu Unterstützungsangeboten für daslaufendeGeschehen zusammengefasst.

Zu erwartende Belastungen
Aktuellist davon auszugehen, dass in den kommenden Wochen viele außergewöhnliche Belastun-gen auftreten werden. Sie werden hier ganz nüchtern benannt, um sich angemessen darauf vorbe-reiten zu können.Zu erwarten sind

  • ein sehr hohes Arbeitspensumsowie eine sehr hohe, lang anhaltende körperliche Belastung,
  • die Konfrontation mit einer größeren Anzahl lebensbedrohlich erkrankter Patienten, von denen einige auch versterben werden,
  • das Miterleben emotionalerReaktionen von Angehörigen,
  • ethische Konfliktsituationen bzw. Dilemmata, in denen unter Umständen folgenschwere Triage-Entscheidungen getroffen werden müssen,
  • die Betroffenheit bzw. Erkrankung von Kolleginnen und Kollegen,
  • eigene Sorgen vor einer Infektionbzw. Erkrankung,
  • Loyalitätskonflikte zwischen familiären und beruflichen Verpflichtungen sowie, aus dem Genann-ten resultierend, sicherlich auchErschöpfungszustände, Ohnmachts-und Überforderungsgefühle.

Persönliche Vorbereitungen

Wer im Einsatz-bzw. dem Gesundheitswesen tätig ist, kann in diesen Tagen jedoch einiges tun, um sich ganz persönlich auf die zu erwartende Situation vorzubereiten. Dazu gehören folgende Aspekte:

  • die Stärkung von Kollegialität, gutem Miteinander und Zusammenhalt (ein verlässliches Team ist gerade jetzt enorm wichtig und wertvoll!),
  • das Training von kurzfristig wirksamen Entspannungstechniken (z. B. durch Muskelrelaxation oderbesondere Atemtechniken –entsprechende Anleitungen sind im Internet zu finden) sowie
  • die Arbeit an der eigenen inneren Haltung und das Aktivieren individueller Schutzmechanismen (z. B. kann jeder sich noch einmal bewusst machen: „Was stärkt, trägt und schützt micheigentlich?“, „Was gibt mir Haltund Sinn?“, „Was sind dieWerte, die mir wichtig sind?“).

Vorbereitungen durch Führung

Auch Führungskräfte können einiges dazu beitragen, dass mit der zu erwartenden Situation so gut wie möglich umgegangen werden kann. Hier sind folgende Punkte anzuführen:

  • die Schaffung bestmöglicher Arbeitsbedingungen (Material, Schutzkleidung, Rückzugsräumewie eine „Helferoase“, Verpflegung usw.),
  • die Klärung von Abläufen und Zuständigkeiten,
  • eine offene und ehrliche (Krisen-) Kommunikation im eigenen Team bzw. Kollegenkreis,
  • die Rücksichtnahme auf persönliche Problemstellungen einzelner Mitarbeiter (z. B. Erkrankung eines Familienmitgliedes, besondere Lebenssituation), sofern dies in der aktuellen Lage möglich ist, sowie
  • das Treffen von Absprachen für die möglichst freiwillige Übernahme besonders risikobehafteter und belastender Tätigkeiten.

Selbsthilfestrategien

In manchen Situationen können Reaktionen auftreten, die darauf hinweisen, dass die persönliche Be-lastungsgrenze erreicht ist. Ein trockener Mund, zittrige Hände, weiche Knie, zunehmende Fehlgriffe und Denkblockaden können hier beispielhaft aufgeführt werden. Solche Reaktionen sind verständlich; man kann ihnenin Akutsituationenzunächst mit einfachen Selbsthilfestrategi enentgegenwirken:

  • Bewusstmachen positiver Vorerfahrungen („All dies habe ich schon geschafft!“),
  • sich hilfreiches und Entlastendes vor Augenführen („Auf mein Team kann ich mich verlassen!“),
  • auf einzelne Maßnahmen konzentrieren(Blutdruck messen oder eine andere Routinetätigkeit aus-führen, um dadurch innehalten und etwas zur Ruhe kommen zu können),
  • Rationalisieren („Ich mache einfach meinen Job, und das mache ich gut!“),
  • die Nutzung imaginativer Techniken, d. h. die Vorstellung von hilfreichen Bildern vor dem „inneren Auge“(Gedanken an eine schöne Urlaubserfahrung, Visualisieren eines erfreulichen Bildes usw.)
  • Positive Selbstinstruktionen, indem man sich selbst eine konstruktive Anweisung gibt(„Ich kann das!“, „Ich schaffe das schon!“),
  • eine kurze Auszeit nehmen und sich vorübergehend ablösen lassen,
  • sich immer wieder bewusst machen: Auch diese Krisenlage wird nicht unendlich andauern!

Kollegiale Unterstützung

Kolleginnen und Kollegen sollten in der Krisenlage besonders aufeinander achten, wertschätzend mit-einander umgehen und sich gegenseitig unterstützen. Manchmal ist schon eine einfache Geste wertvoll; ein aufmunternder Blick oder ein verständnisvolles Kopfnicken beispielsweise. Außerdem kann empfohlen werden:

  • Vor-bzw. ohnehin (z. B. aus privaten Gründen) sehr stark belastete Kolleginnen und Kollegen mög-lichst zu schonen,
  • Arbeitsaufträge an die aktuelle Leistungsfähigkeit eines jeden einzelnen anzupassen, sofern dies möglich ist, und
  • auf konkrete Anzeichen einer akuten Überlastungzu achten und ggf. Entlastunganzubieten. Wichtig zu wissen ist jedoch, dass „funktionierende“ Kolleginnen und Kollegen nicht in ihrer Arbeit unter-brochen werden sollen: Wer seine Arbeit gut erledigt, soll dies tun können. Natürlich muss aber jeder einzelne darauf achten, regelmäßige Pauseneinzulegen.

Unterstützungsangebote„zwischendurch“

Üblich ist, dass vor allem nacheiner besonders belastenden Situation Hilfen angeboten werden. In der aktuellen Krisenlage scheint es jedoch angebracht, auch schon während deslaufenden GeschehensUnterstützung anzubieten, um die Handlungsfähigkeit aufrecht zu erhalten, Ressourcen zu stärken und einfach eine Gelegenheit zum „Auftanken“ zu geben. Hier kann zum Beispiel hilfreich sein:

  • Ruhephasen einzulegen (wenn auch nur für kurze Zeit!),
  • sich für einen Moment zurückzuziehen (etwa für ein Gebet, das Wahrnehmen der Natur, das erneute Bewusstmachen eigener Ressourcenusw.),
  • die Nutzung von „Alltagsverfahren“ (eine Zigarette rauchen, einen Kaffee trinken, duschen, sich umziehen usw.),
  • persönliche Gefühle und Gedanken einmal täglich bzw. regelmäßig aufzuschreiben(Stichworte reichen mitunter schon aus)und natürlich
  • sich mit vertrauten Menschen über das Erlebte auszutauschen.

Jeweils am Ende einer Dienstschicht kann auch ein psychosozialer„Jour Fix“sinnvoll sein, d. h. die Ge-legenheit für einen standardisierten (kurzen!) psychosozialenAustausch. Dazu gehören könnte:

  • eine Runde, in der jeder, der dies möchte, etwas zu den vergangenen Stunden sagen kann,
  • die Beantwortung konkreter Fragen,
  • das Angebot einer Phantasiereise oder einer Entspannungstechnik sowie
  • ein Tagesabschluss mit einem stärkenden Impuls oder einem Halt gebendenRitual.

Dringend empfiehlt es sich, psychosoziale Fachkräfte (Seelsorger für Einsatzkräfte, Krankenhausseel-sorge, Einsatznachsorgeteams bzw. Teams für die Psychosoziale Unterstützung usw.) in die Lagebewäl-tigung einzubeziehen!

Weiterführende Literatur (kostenloser Download unter www.harald-karutz.de)
Karutz H, Blank-Gorki V (2014)
Psychische Belastungen und Bewältigungsstrategien in der präklinischen Notfallmedizin.
NotfallmedUp2date 9: 355-375.

Karutz H (2013) Handlungsfähig bleiben –aber wie?
Selbsthilfestrategien bei akuter Belastung im Einsatz. Notarzt 29: 58-63.

Links
www.hilfenfuerhelfer.de
www.psu-akut.de
www.sbe-ev.de

Prof. Dr. Harald Karutz, Mülheim an der Ruhr – www.harald-karutz.de
Kontakt zum Autor dieses Merkblattes: harald@karutz.de

Corona: Wichtige Hinweise für Einsatzorganisationen und Vorgesetzte/Einsatzleiter

SbE-Hinweise für Einsatzorganisationenund Vorgesetzte / Einsatzleiter

Gegenwärtig (22.03.2020) sind nicht so sehr die Infektionseinsätze selbst belastend und verunsichernd. Denn auch vor Covid-19 haben Einsatzkräfte ihre Einsätze mit infektiösen Patient*innen professionell, routiniert und umsichtig abgearbeitet.Es wird von anderen Belastungen berichtet:

  • Die Einsatzkräfte in Regionen mit einem hohen Einsatzaufkommen arbeiten einfach quantitativ an der Belastungsgrenze.
  • Manche berichten davon, dass sie von Anderen, auch Bekannten, gemieden werden aus Angst, sich zu infizieren.
  • Sie haben Probleme, die eigenen Kinder angesichts von Schul-und Kindergarten-schließungen in guter Form zu betreuen oder betreuen zu lassen.
  • Sie sind konfrontiert mit Ängsten ihrer Partner*innen und Kinder, die sich Sorgen angesichts ihrer Einsatztätigkeit machen.
  • Viele haben Angst und Sorge, welche Entwicklungen eintreten könnten, wenn die Zahl von Verdachtsfällen, von Erkrankten und Sterbefällen massiv ansteigt.
  • Einsatzkräfte haben Anteil an den Sorgen und Ängsten, die allgemein an ihrem Wohnort und in der Nachbarschaft die Menschen bewegen.
  • Verpflichtungen dem Arbeitgeber bzw. dem eigenen dienstlichen Auftrag sowie den Kolleginnen und Kollegen gegenüber nachzukommen, kann in der momentanen Lage auch mit dem Bedürfnis kollidieren, für seine eigene Familie bzw. sein eigenes Umfeld da zu sein. Mitunter ergibt sich womöglich ein Loyalitäts-bzw. Gewissenskonflikt.

Was können Organisationen und Vorgesetzte (Einsatzleiter) tun?

PRIMÄRE PRÄVENTION:
Sicherheitsgefühl der Einsatzkräfte stärken!

Das Schlüsselwort ist: Sicherheit. Tun Sie alles dafür, dass Ihre Einsatzkräfte sicher arbeiten können und sich (handlungs-) sicher fühlen.Dabei geht es einmal um die äußere Sicherheit: sichere Schutzvorkehrungenund sichere Ausstattung mit Kleidung und Material, gute Einweisung

Genauso wichtig ist aber auch das eigene Gefühl der Sicherheit. Dazu kann die Organisation und können die Vorgesetzten (Einsatzleiter) entscheidend beitragen durch:

  • ausführliche und ruhige Information über die Lage
  • genaue und sorgfältige, aber nicht dramatische Information über Risiken und Schutzmaßnahmen
  • hohe Transparenz bei Entscheidungen und Anordnungen
  • Gesprächs-und Auskunftsbereitschaft bei Fragen undUnsicherheiten
  • regelmäßige Teambesprechungen
  • gute Auswertung zurückliegender Einsätze
  • Einbeziehung in mittelfristige Überlegungen
  • klare Zuständigkeitenklare Aufträge (auch Grenze des Auftrags!)
  • klare Kommunikationswege
  • Bereitstellung von Stufenplänen fürkünftig denkbare Szenarien
  • Hinweis auf seriöse Informationsquellen, Medienauswahl
  • Warnung vor Fake-News und entsprechenden unseriösen Informationskanälen
  • Vorsicht vor „Verschwörungstheorien“
Betonen Sie auch das kollegiale bzw. kameradschaftliche Miteinander: Zu wissen, in einer Dienstgruppe oder einer Wachabteilung zu arbeiten, die aufeinander achtet, auf die man sich verlassen kann und in der insgesamt ein gutes Klima herrscht, stellt gerade in hoch be-lastenden Zeiten eine besonders wichtige Ressource dar!Stellen Sie, sofern dies aus einsatztaktischen Überlegungen heraus möglich ist, bei be-stimmten, besonders risikobehafteten Einsätzen auf Freiwilligkeit ab. Nehmen Sie Rücksicht auf Einsatzkräfte, die -warum auch immer –bereits vorbelastet sind.

Achten Sie darauf, dass auch bei hohem Einsatzaufkommen Pausen und Erholungszeiten genommen werden, und wenn es sich nur um relativ kurze Phasen handelt. Vor allem soll-ten Einsatzkräfte Gelegenheit haben, regelmäßig Kontakt zu Ihren nächsten Angehörigen aufzunehmen, etwa durch Telefonanrufe oder das Schreiben einer kurzen schriftlichen Nachricht.

Legen Sie gerade in diesen Tagen und Wochen Wert auf eine offene Kommunikationskultur, in der auch persönliche Ängste und Sorgen zum Thema gemacht werden können. Nehmen Sie entsprechende Äußerungen ernst und reagieren Sie mit Verständnis und Wertschätzung darauf.

So können Sie präventiv vieles tun, um zu gewährleisten, dass Einsatzkräfte so handlungssi-cher wie möglich die Herausforderungen der gegenwärtigen Situationmeistern. Denn das Schlüsselwort ist: Sicherheit. Das eigene Sicherheitserleben wirkt präventiv auch der Gefahr einer möglichen psychischen Traumatisierung entgegen, die bei einem Erleben von Angst, Hilflosigkeit und Entsetzen entstehen kann. Was Einsatzkräfte psychisch am meisten schützt, ist dass sie ihre Arbeit gut machen können.

SEKUNDÄRE PRÄVENTION:
Durch Einsatznachsorge die psychische Leistungsfähigkeit der Einsatzkräfte bewahren!

Normalerweise können Einsatzkräfte ihre Einsätze routiniert abarbeiten und bewältigen, sowohl „normale“ als auch Covid-19-bezogene und andere Infektionseinsätze.

Es kann aber auch Einsätze geben, in denen Einsatzkräfte Angst oder Hilflosigkeit erleben. Dies kann dann zu besonderen Reaktionen wie wiederkehrenden Bildern, Schlafstörungen u.a. führen. Diese Reaktionen sind normal und lassen in der Regel nach kurzer Zeit wieder nach.

In Zukunft sind zudem Szenarien denkbar, in denen Angst und Verstörung durch die allgemeine Lage auch bei Einsatzkräften verstärkt auftretenund die Einsatzfähigkeit herabsetzen.

Unterstützungsmöglichkeiten bieten hier Einsatznachsorgeteams, Psychosoziale Fachkräfte und Seelsorger. Es ist verständlich, wenn Sie bei dem allgemeinen Infektionsrisiko zögern, EinsatznachsorgeMaßnahmen anzufordern.

Betretungsverbote auf den Wachen müssen abgewogen werden gegen die Notwendigkeit, Einsatzkräfte psychisch fit zu halten. Ob für die Unterstützung physische Kontakte (persönliche Einzel-oder Gruppengespräche) unbedingt nötig sind, muss dann ebenfalls abgewogen werden. Gut ausgebildete Einsatznachsorgeteams können beispielsweise auch telefonisch, per Videokonferenzoder per Mail psychosoziale Unterstützung bieten. Bestehende Infektionsrisiken bzw. Anweisungen zu bestimmten Schutzmaßnahmen im Einsatzwesensollten daher kein Grund sein, generell auf jedwede sekundäre Prävention zu verzichten.

Beraten Sie dies bitte mit den Einsatznachsorgeteams und Psychosozialen Fachkräften. Erreichbarkeiten in Ihrer Nähe werden Ihnen oder der Leitstelle bekannt sein. Wenn nicht, können wir Ihnen dies ohne großen Aufwand unter unserer Tel. 01805-872 862 vermitteln.

Mit guten Wünschen für Sie und IhreMitarbeiter*innen!

Für dieSbE-Bundesvereinigung:
Oliver Gengenbach
Dr. Andreas Müller-Cyran
Prof. Dr.Harald Karutz
Dr.med. Ralph Kipke

Stand: 22.03.2020

Aktuell erschienen: Unsere Seminare 2020 im Überblick

Unsere Seminare 2020
PDF-Download

Downloads:
Veranstaltungen Polizeiseelsorge Flyer (PDF-Datei)
Veranstaltungen Polizeiseelsorge Plakat (PDF-Datei)

Und hier unser Booklet
mit Inhaltsbeschreibungen unserer Seminare als PDF-Download

Psysoz. Lagebild

Jede Polizistin und jeder Polizist spürt in aller Regel, wie gut oder wie schlecht es ihr bzw. ihm geht. Aber weiß die nordrhein-westfälische Polizei, wie gut oder wie schlecht es ihr als ganzer, mithin als Organisation, geht?

Diese Frage hat sich der Ausschuss für den Kirchlichen Dienst in der Polizei der Evangelischen Kirche von Westfalen (AKDP) gestellt (Informationen über die Arbeit des Ausschusses finden Sie hier). Seine Antwort lautet: Sie weiß es nicht. Oder präziser: Sie weiß es nicht so genau, wie sie es wissen könnte. Und der Ausschluss setzt sich dafür ein, das „Könnte“ als ein „Sollte“ zu verstehen. Deswegen hat er eine Ausarbeitung unter dem Titel „Psychosoziale Belastungen in der Polizei Nordrhein-Westfalen“ vorgelegt, in der er die Entwicklung eines ‚psychosozialen Lagebildes der Polizei in Nordrhein-Westfalen‘ anregt und eine Reihe möglicher Indikatoren für ein solches Lagebild vorschlägt (unter anderem Suizidrate, Krankenstand, Burnoutrate, Organisationsklima).

Aus der Sicht des Ausschusses wäre das ein folgerichtiger Schritt in eine Richtung, die die nordrhein-westfälische Polizei dankenswerter Weise in bestimmten Bereichen schon gegangen ist, wie z.B. mit der jährlichen Erstellung der NRW-Lagebilder „Gewalt gegen Polizeibeamtinnen und –beamte“ seit 2011. Insofern könnten schon vorhandene Daten miteinander verknüpft und sukzessiv um weitere ‚weiche‘ Faktoren  – von denen allerdings viele ‚harte‘ Auswirkungen haben –  ergänzt werden. Damit ist gleichzeitig gesagt, dass es nicht darauf ankäme, auf Anhieb ein rundherum solides oder annähernd perfektes Instrument zur Verfügung zu haben und anzuwenden, sondern der Gewinn läge vielmehr darin, sich überhaupt auf den Weg zu machen, um die Frage „Wie geht´s der Polizei in NRW?“, in psychosozialer Perspektive immer genauer und damit besser beantworten zu können.

Im außerpolizeilichen Bereich gibt es immer mehr Beispiele, die nicht nur die Sinnhaftigkeit, sondern auch die praktische Umsetzbarkeit eines solchen Ansatzes belegen (z.B. der für die Entwicklung und Anwendung eines differenzierten Gesundheitsindexes mit dem Corporate Health Award 2012 ausgezeichnete Otto Versand). Natürlich gibt es gewichtige Unterschiede zwischen der Arbeit der Polizei und Unternehmen im Wirtschaftsbereich, aber in beiden arbeiten – zunehmend älter werdende – Menschen, die mit immer umfangreicheren Herausforderungen und größer werdenden Belastungen fertig werden müssen. Damit hinter diesen Entwicklungen der Blick auf die Menschen nicht verloren geht, sehen wir in einem psychosoziales Lagebild (oder vergleichbare Bemühungen) eine hilfreiche Möglichkeit, der damit verbundenen Verantwortung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch in Zukunft möglichst umfassend gerecht zu werden.

Die Ausarbeitung kann beim Landespfarramt für den Kirchlichen Dienst in der Polizei der Evangelischen Kirche von Westfalen (Melchersstr. 57, 48149 Münster; Tel.: 0251/2006880; Fax: 0251/2006881; Mail: landespfarramt@polizeiseelsorge-ekvw.de ) angefordert werden.

Werner Schiewek, Landespolizeipfarrer der EKvW

Graduierungsgottesdienst(e) 2017

Längst gehören Gottesdienst anlässlich der offiziellen Graduierungsfeiern zur guten Tradition an vielen Standorten der Fachhochschule – und nur als ein Beispiel soll hier Dortmund stehen:

Hier luden die Stefanie Alkier-Karweick und Judith Palm am  31.8.2017 zum Gottesdienst in die St. Marienkirche ein – der mittelalterlichen Gerichtskirche. Hier traf sich der Rat der Stadt, bevor er über strafrechtliche Belange beriet und Urteile sprach. Vom Mittelalter bis zur Moderne: Die Frage nach Recht und Gerechtigkeit treibt die Menschen um. So lag es nahe, hier auch den Gottesdienst für die jungen Polizeikommissare und –kommissarinnen und Ihre Begleitung zu feiern. Der sicherlich berührendste Moment war für viele die Segnung jedes und jeder einzelnen vorn im Chorraum.

Bei den Fürbitten zum Schluss (hier als Download) beteiligten sich Lehrende der FHöV und auch der Polizeipräsident von Dortmund, Herr Lange, sowie die Leiterin ZA, Frau Dorndorf (siehe Bild oben).

(Judith Palm)

Die Ausgabe 04-2014 des Newsletters

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Kosovo – ein Land der Gegensätze

Impressionen eines Weihnachtsbesuches in einer anderen Welt

Eine Brücke, mit Bauschutt zugeschüttet und somit unpassierbar, ist eines der wohl eindrücklichsten Bilder des Weihnachtsbesuches im Kosovo. Die Brücke liegt mitten in der Stadt Mitrovica, im Norden der Republik Kosovo, an der Grenze zu Serbien und gilt als „der“ Grenzübergang zwischen der neu gegründeten Republik Kosovo und Serbien. Die von serbischer Seite aus unpassierbar gemachte Brücke ist zum Symbol geworden: der Weg zu wirklichem Frieden ist steinig und hart.

Vier Tage lang sind mein Kollege Hans-Dieter Hein und ich als Delegierte der katholischen und der evangelischen Polizeiseelsorge Deutschlands zu Besuch im Kosovo gewesen. Ein zu kurzer Zeitraum, um sich ein umfassendes Bild von der politischen Situation, von Land und Leuten zu machen. Lang genug jedoch, um einen Eindruck zu bekommen von der Gastfreundlichkeit seiner Bewohner, den kulturellen Schätzen und auch von der schwierigen Geschichte dieses Balkanlandes an der Grenze zwischen christlicher und muslimischer Welt.

„Kosovo: das Land der ungeahnten Möglichkeiten“ pflegte unser Reiseführer Harald Ziaja, Polizeibeamter aus Thüringen und Mitglied des „German Support Teams“, zu sagen, wenn er uns im Diplomatenbus von einem Ort zum nächsten fuhr. Harald Ziaja ist nicht zum ersten Mal bei einer Auslandsmission dabei, war u.a. in Bosnien und mehrfach im Kosovo. Er weiß um die Probleme, die das Zusammenleben vieler unterschiedlicher Ethnien in diesem kleinen Land mit sich bringt. Als Ansprechpartner für die Polizistinnen und Polizisten vor Ort kennt er die Belastungen, die ein solcher Einsatz für die Kolleginnen und Kollegen birgt, ebenso gut.

Im Einsatz für den Frieden

Wer sich für den Frieden einsetzt braucht Kraft, Geduld und einen langen Atem. Das gilt auch im Kosovo, wo rund 2.100 EULEX-Angehörige (EULEX – European Union Rule of Law Mission) aus den EU-Staaten und dem Kosovo den Auftrag haben, in einem von Krieg und seinen Folgen gebeutelten Land Sicherheit und Ordnung zu unterstützen und bei der Aufklärung von Kriegsverbrechen zu helfen. „Anleitung, Beobachtung und Inspektion“ lautet der Auftrag der EULEX-Mission im Kosovo, an der rund 140 deutsche Polizeibeamte und Mitarbeitende der Staatsanwaltschaften sowie zivile Expertinnen und Experten beteiligt sind.

„Es braucht eine hohe soziale Kompetenz, sich in eine fremde Kultur einzufühlen, sich mit den Einheimischen zu verständigen und dennoch die nötige Distanz zu wahren. Mit westlicher Arroganz kommt man hier nicht weit.“, erzählt er uns auf der Fahrt zum serbisch-orthodoxen Kloster Dečani, das wegen seiner wunderschönen Fresken aus dem 14. Jh. zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört. Hier gewährte uns Patre Pietro nach der Führung durch die Klosterbasilika monastische Gastfreundschaft in der guten Stube aus dem 19. Jh. Ruhig ist es hier, fast idyllisch. Man sitzt bei Tee und selbst gebranntem Rakia an langen Holztischen und könnte dabei glatt vergessen, dass das Kloster aus Angst vor Übergriffen rund um die Uhr von einem italienischen Militärposten bewacht wird.

 

Auf der Fahrt durch das Land werden die Folgen des Krieges manchmal noch auf erschreckende Weise deutlich: ausgeweidete Häuser stehen gleich neben futuristischen Bauten. In den Häusern hatten vor dem Krieg meist serbische Familien gewohnt. Als sie während des Krieges ihre Heimat verlassen mussten, wurde die Bausubstanz von der albanischen Bevölkerung als Baumaterial für das eigene Haus genutzt. Ebenso sehen wir Einschusslöcher serbischer Waffen an albanischen Häusern. Auch jetzt noch wird uns davon abgeraten, auf eigene Faust eine Wiese oder eine freie Grünfläche zu betreten. Es besteht die Gefahr, auf vermintes Gelände zu treten.

Mir wird klar: Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung hängen noch viel enger zusammen als ich bisher dachte. Die Luft ist so schadstoffbelastet, dass sogar das Papier, das man zuhause auspackt, nach Verbranntem riecht. Noch nie habe ich so viele streunende oder an der Straße liegende tot gefahrene Hunde gesehen wie in den vier Tagen im Kosovo. Wenn man selbst nicht so genau weiß, wie man mit seinem Geld auskommen soll, kann man sich nicht um fremde Tiere kümmern. Ein armes Land hat der Krieg zurückgelassen, in dem gerechte Strukturen erst mühsam aufgebaut werden. Und doch ist der wirtschaftliche Aufschwung genau so  sichtbar wie die allgegenwärtige Korruption.

Heiligabend im Hotel

Ein berührendes Erlebnis war der Gottesdienst am Heiligen Abend, den wir im Restaurant unseres Hotels in Priština gefeiert haben. Hier hatte der albanische Hotelchef alles daran gesetzt, uns am Heiligen Abend perfekte Rahmenbedingungen für einen stimmungsvollen Weihnachtsgottesdienst zu bieten: vom Kaminzimmer, einem blinkendem Weihnachtsbaum neben dem Altar über Blumenschmuck und Kerzen bis hin zum Buffet war alles vorhanden. Hilfsbereitschaft und Gastfreundschaft werden groß geschrieben, ganz gleich, welchem Glauben man angehört. Und so wurde der ökumenischen Heiligabendgottesdienst zu einem ganz besonderen interkulturellen Erlebnis. Die kleine Weihnachtsgemeinde, bestehend aus 35 Missionsteilnehmenden, vier Kindern und zwei Geistlichen sitzt in den Restaurantsesseln, lauscht Kirchenglocken und Orgelmusik vom Band, singt und betet, während der Muezzin draußen ebenfalls zum Gebet ruft.

Das Thema der Weihnachtspredigt war – natürlich – Gottes Kind in der Krippe, das in alles andere als friedliche Verhältnisse hinein geboren wird und doch allen Menschen Frieden auf Erden verheißt. Hans-Dieter Hein hatte ein Friedenslicht mitgebracht, das während des Gottesdienstes leuchtete. Am Ende des Gottesdienstes übergab er das Licht an Harald Ziaja, der es stellvertretend für die Missionsteilnehmenden entgegennahm.

Beim anschließenden Essen ergab sich die Gelegenheit zum Gespräch. Seit einiger Zeit habe sich die Sicherheitslage wieder verschärft, erzählt eine Polizistin, die bereits zum zweiten Mal an einer Auslandsmission im Kosovo teilnimmt. Ein Jahr lang wird sie, wie alle zum deutschen Kontingent gehörenden Kolleginnen und Kollegen, im Kosovo eingesetzt sein. Während zuhause „hoffentlich alles in geordneten Bahnen“ läuft, wohnt sie zusammen mit einer Kollegin in einem Appartement in Mitrovica. Ab und zu müssen die beiden ohne Wasser oder Strom – und damit auch ohne Heizung auskommen. „Aber auch das lässt sich irgendwie überbrücken“, meint sie. Mit dem gemeinsamen Essen am Heiligen Abend ist das Weihnachtsfest im Kosovo vorbei. Morgen wird wieder ein ganz normaler Tag sein und die Polizistin wird wieder im Dienst sein in Mitrovica, der Stadt mit der Brücke.

Bianca van der Heyden

Informationen zur EULEX im Kosovo:
Nutzen Sie bitte diesen Link hier.

Verabschiedung unserer Kollegin

Regina Kulpe von Eckardstein wurde am 5.11. mit einem schönen Gottesdienst aus ihrem Dienst als Landespolizeipfarrerin im §4 Bereich Köln verabschiedet und von ihren Aufgaben offiziell entpflichtet.

Seit 2003 war sie im PP Köln als Polizeiseelsorgerin tätig. Aufmerksam, kompetent, mit klarem Blick und großem Einfühlungsvermögen für die Polizistinnen und Polizisten etablierte sie die Arbeit der Polizeiseelsorge gemeinsam mit ihrem katholischen Kollegen in Köln. Freundlich gestimmt, erkannte sie früh Probleme, sprach sie offen an und ging notwendigen Auseinandersetzungen nicht aus dem Weg. Ihr trockener Humor machte vieles leichter.

Sie freute sich auf die immer neuen Herausforderungen in der gemeinsamen Arbeit.

Anfang 2010 veränderte ein schwerer Unfall ihres damals 17jährigen Sohnes alles. Justus liegt seit dem im Wachkoma. Oft stand Regina Menschen in großer Not und mit traumatisierenden Erfahrungen zur Seite. Nun brauchte und braucht sie selber diese Unterstützung.

Im Wartestand kann sie sich auf die Begleitung ihres Sohnes konzentrieren, Kraft für die eigene Gesundwerdung sammeln und sich mittelfristig wieder auf einen Berufseinstieg in einem anderen kirchlichen Arbeitsbereich vorbereiten.

Die Grußworte, ihre Ernennung zur „Polizeirätin ehrenhalber“ und das gemeinsam gesungene Lied „Für dich solls rote Rosen regnen“ beim anschließenden Empfang im PP Köln brachten auf vielfältige Weise die große Wertschätzung ihrer Arbeit zum Ausdruck.

Liebe Regina, alles Gute und Gottes Segen für alles, was kommt.

Abschied und Aufbruch

Über vierzehn Jahr lang war Pfarrerin Astrid Taudien als Landespfarrerin im Kirchlichen Dienst in der Polizei der Evangelischen Kirche von Westfalen tätig.  Nun übernahm sie zum 1.11. eine neue anspruchsvolle Aufgabe als  Pfarrerin an der Pauluskirche in Hamm.

Wechsel machen Sinn, aber dieser Abschied ist uns sichtlich schwer gefallen. Mit viel Herzblut und großem fachlichem Können hat Astrid Taudien in „ihrer Polizei“ gewirkt. Viele Polizistinnen und Polizisten hat sie in schwierigen beruflichen wie privaten Situationen beraten, gestützt und begleitet. Trotzdem war sie – im Gegensatz zu uns, d.h. ihren Kolleginnen und Kollegen – überrascht, wie viele Menschen am 26. Oktober in die Evangelische Paul-Gerhardt-Kirche in Dortmund gekommen waren, um ihrer Entpflichtung durch die zuständige Referentin für Seelsorge und Beratung der Evangelischen Kirche von Westfalen, Dr. Friederike Rüter, im Rahmen eines feierlichen Gottesdienstes beizuwohnen.

Auch beim anschließenden Empfang im Polizeipräsidium Dortmund wurde in den Grußworten, aber auch in den vielen einzelnen Begegnungen deutlich, dass sowohl die Polizei, aber auch ihre evangelischen und katholischen Kolleginnen und Kollegen aus der Polizeiseelsorge in Nordrhein-Westfalen sie nur ungern gehen lassen.

Ab dem 1. November ist sie als Pfarrerin an der Pauluskirche in Hamm tätig und wurde dort am 4. November in ihr neues Amt eingeführt.

Wir danken ihr von Herzen für die vielen Jahre der gemeinsamen Arbeit in der Polizeiseelsorge und wünschen ihr für ihre neue Aufgabe viel Kraft und Gottes Segen.

Gedenkfeier – „Mitten im Leben vom Tod umfangen“

Gedenkveranstaltung am LAFP

Präses Annette Kurschus hat die Polizisten gewürdigt, die im Dienst ums Leben gekommen sind. Bei einer Gedenkfeier in Selm-Bork erklärte die leitende Theologin der Evangelischen Kirche von Westfalen: „Die Lücke, die der Tod von Kolleginnen und Kollegen reißt, lässt sich nicht einfach dadurch schließen, dass andere Menschen nun ihre Arbeit tun.“ Deshalb brauche eine Organisation wie die Polizei Orte der Erinnerung, an denen die schmerzliche Lücke offen gehalten wird.

Ein solcher Ort wurde 2011 im Landesamt für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten der nordrhein-westfälischen Polizei in Selm-Bork geschaffen: der „Wächter“, eine mächtige Stahlfigur. Hier kamen nun erstmals Polizistinnen und Polizisten, Angehörige und Vertreter der Politik zusammen, um der im Dienst gestorbenen Kollegen zu gedenken. Für das Innenministerium nahm Ministerialdirigent Wolfgang Düren an der Feier teil. Seit Bestehen des Landes Nordrhein-Westfalen sind mehr als 100 Polizistinnen und Polizisten im Dienst getötet worden, mehr als 400 starben im Zusammenhang mit dienstlichen Aufgaben.

Präses Kurschus erinnerte an den alten Liedvers „Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen“. Diese Worte stünden auch für die christliche Zuversicht: „Mitten im Tod wird Gott uns mit seinem Leben umfangen.“ Der bitteren Gewissheit, dass auch in Zukunft Polizisten im Dienst zu Tode kommen, könne man nicht ausweichen. Gott gebe die Kraft weiterzugehen, mitten im Leben, vom Tod umfangen.