Verantwortung und Macht
Unter der Überschrift „Menschen tragen Verantwortung für die Zukunft“ hat die Zeitung „Unsere Kirche“ ein Interview mit Polizeipfarrer Karsten Dittmann veröffentlicht (Unsere Kirche 9/2025, S. 4+5). Einleitend heißt es darin: „Verantwortung ist ein großes Wort. Jeder Mensch sollte Verantwortung für sich und sein Leben übernehmen. Polizeipfarrer Karsten Dittmann ist zuständig für die Ausbildung von Polizistinnen und Polizisten und steht als Seelsorger zur Verfügung. Dittmann hat außerdem Philosophie studiert und promoviert. Mit Karin Ilgenfritz sprach er über das Thema Verantwortung.“
Was bedeutet für Sie Verantwortung?
In „Verantwortung“ steckt das Wort „Antwort“. Verantworten heißt, Antwort geben zu können – etwa, wenn ich vor Gericht gefragt werde: Warum hast du das gemacht? Zur Verantwortung gehören mindestens drei Aspekte: Die Person, die die Verantwortung trägt. Die Sache, für die sie verantwortlich ist. Und eine Instanz, der gegenüber die Person sich zu verantworten hat.
Woher kommt die Verantwortung?
In der Regel von Normen oder Pflichten, die eine Instanz setzt. Schießt ein Kind mit dem Ball eine Fensterscheibe ein, ziehen die Eltern es zur Verantwortung, weil sie verboten haben, dort mit dem Ball zu spielen. Rechtlich sind aber die Eltern verantwortlich, weil sie die Aufsichtspflicht haben. Passiert etwas, werden sie zur Verantwortung gezogen und müssen für den Schaden haften.
Warum fällt es vielen Menschen so schwer, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen?
Bewusst Verantwortung zu übernehmen, verträgt sich nicht mit der Angst vor Verpflichtungen oder für Fehler zur Rechenschaft gezogen zu werden. Selbst zu entscheiden heißt, auch für Fehler gerade zu stehen. Einfacher ist natürlich, die Verantwortung abzuschieben. Wer als Erwachsener für alles seine Eltern und die frühe Kindheit verantwortlich macht, ist nicht frei. Wie bei Adam und Eva. Ich bin bloß Opfer. Der oder die da ist schuld.
Wie meinen Sie das?
Verantwortung hat viel zu tun mit Freiheit und Macht. Bin ich in der Lage selbst zu entscheiden, was ich tue? Denken Sie an den Comic-Held Spiderman. Der junge Peter Parker wird von einer radioaktiv verstrahlten Spinne gebissen. Der Schwächling bekommt Superkräfte, die er erst für sich selbst einsetzt. Ein traumatisches Erlebnis ändert alles. Er wird zu Spiderman, der sich für Schwache und Unterdrückte stark macht. Er hat erkannt: „Aus großer Kraft folgt große Verantwortung.“
Sind Polizistinnen und Polizisten so eine Art Spiderman?
Sicher spielt das Bild vom Helden eine Rolle. Aber auch das Bild vom Helfer. Als Träger des staatlichen Gewaltmonopols sind Polizistinnen und Polizisten mit weitreichenden Befugnissen ausgestattet: Sie dürfen Autos stoppen, Platzverweise aussprechen und in bestimmten Situationen körperlichen Zwang anwenden. Wie auch immer das Selbstbild ist: Durch ihr Amt haben Polizistinnen und Polizisten viel Macht und tragen daher auch große Verantwortung. In der Ausbildung spielt es daher eine wichtige Rolle, wie sie im polizeilichen Alltag ihre Befugnisse einsetzen und verantwortungsvoll handeln.
Es gibt Situationen, da wird das schwierig.
Ja, gerade in Gefahrmomenten sind Polizistinnen und Polizisten sind gefordert zu entscheiden – eskalieren oder deeskalieren? Wenn die Gesundheit oder gar das Leben gefährdet sind, müssen sie schnell handeln und sich darüber klar sein, was das bedeutet. Sie tragen eine taktische, rechtliche und moralische Verantwortung. Alles steht dabei unter dem Leitsatz des Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“
Sie haben vorhin Adam und Eva erwähnt. Wie ist das da mit der Verantwortung?
Bei Adam und Eva geht es auch um die Frage von Wissen. Wissen ist bekanntlich Macht. Die Geschichte wird meist unter dem Aspekt erzählt, wie die Schuld in die Welt kam. Eigentlich geht es in der Geschichte aber um Wissen. Gott hat einen Garten geschaffen, in dem der Baum des Lebens steht und der Baum der Erkenntnis von Gut und Böse. Vom Baum der Erkenntnis sollen sie nicht essen, aber die Schlange überredet Eva und diese Adam, doch davon zu probieren. Und plötzlich wissen sie, was gut und böse ist. Das zeigt sich daran, dass sie sich schämen.
Weil sie sich schämen, verstecken sie sich vor Gott?
Gott spaziert durch den Garten und sucht Adam. Aber weil Adam und Eva sich schämen, haben sie sich versteckt. Daran merkt Gott, dass sie vom Baum der Erkenntnis gegessen haben. Er stellt sie zur Rede. Adam schiebt die Schuld auf Eva und sie auf die Schlange. Ohne von Gut und Böse zu wissen, ist es nicht möglich, Schuld zu erkennen und Verantwortung abzuwälzen.
Das hat dann die Konsequenz, dass beide den Garten, das Paradies verlassen müssen.
Aber weniger als Strafe. Gott ist klar, dass er sich auf Adam und Eva nicht verlassen kann. Blieben sie im Garten, könnten sie weiter vom Baum des Lebens essen. Sie würden nicht nur den Unterschied zwischen Gut und Böse kennen, sondern auch ewig leben. Dann wären sie wie Gott. Das wollte Gott verhindern. Erkenntnis über sich selbst und Macht sind Voraussetzungen für Verantwortung.
Inwiefern kann der christliche Glaube helfen Verantwortung zu übernehmen?
Glaube ist ein wichtiger Motivator. Gott kann eine Verantwortungsinstanz sein. Wer glaubt, dass er für sein Tun nicht nur seinem Gewissen, sondern auch Gott gegenüber verantwortlich ist, denkt in vielen Situationen vielleicht anders.
Kann man auch zu viel Verantwortung übernehmen?
Menschliche Macht hat Grenzen. Wir müssen unterscheiden, was wir beeinflussen können und was nicht. Man kann nicht für alles Verantwortung übernehmen. Wer sich zu viel auflädt oder zu viel übertragen bekommt, ist schnell überlastet.
Manche Menschen schimpfen über ihre Lebensumstände, über die Politik oder die Kirche. Drücken sie sich vor Verantwortung?
Es ist leicht, alles nach außen zu schieben. Ich erlebe das gerade bei mir im Stadtteil. Da haben ein paar Geschäfte geschlossen, die Bank hat die Öffnungszeiten eingeschränkt und ein Café hat zugemacht. Schnell heißt es, die Politik muss etwas tun. Die Leute sehen nicht, dass sie selbst zu der Situation beitragen, indem sie im Einkaufscenter einkaufen, statt im eigenen Stadtteil um die Ecke. Dann zu sagen, die anderen sind schuld und die Politik muss die Probleme lösen, das ist zu kurz gedacht.
Die Wahl steht an. Da können alle ihrer Verantwortung gerecht werden und wählen gehen.
Manche Leute sagen: Auf meine Stimme kommt es nicht an. Das ist aber falsch. Demokratie funktioniert nur, wenn viele Einzelne ihre Stimme abgeben. Wer das tut, wählt schon dadurch die Demokratie. Wer nicht wählt, verzichtet nicht nur auf sein Mitspracherecht, sondern überlässt die Entscheidung denjenigen, die ihre Stimme nutzen. Man nimmt sich selbst heraus und die anderen sollen es richten.
Haben Sie ein Beispiel?
Wir Menschen tragen nicht nur Verantwortung für das, was in der Vergangenheit gewesen ist, sondern auch für die Zukunft. Stichwort Klimawandel. Wir haben die Wahl, was wir heute durch unser Leben dazu betragen, aber auch durch politische Entscheidungen. Diese Verantwortung nimmt uns niemand ab.
Das Gespräch führte Karin Ilgenfritz.
Titelbild: Dennis Weiland auf Pixabay.

