Kosovo – ein Land der Gegensätze

Impressionen eines Weihnachtsbesuches in einer anderen Welt

Eine Brücke, mit Bauschutt zugeschüttet und somit unpassierbar, ist eines der wohl eindrücklichsten Bilder des Weihnachtsbesuches im Kosovo. Die Brücke liegt mitten in der Stadt Mitrovica, im Norden der Republik Kosovo, an der Grenze zu Serbien und gilt als „der“ Grenzübergang zwischen der neu gegründeten Republik Kosovo und Serbien. Die von serbischer Seite aus unpassierbar gemachte Brücke ist zum Symbol geworden: der Weg zu wirklichem Frieden ist steinig und hart.

Vier Tage lang sind mein Kollege Hans-Dieter Hein und ich als Delegierte der katholischen und der evangelischen Polizeiseelsorge Deutschlands zu Besuch im Kosovo gewesen. Ein zu kurzer Zeitraum, um sich ein umfassendes Bild von der politischen Situation, von Land und Leuten zu machen. Lang genug jedoch, um einen Eindruck zu bekommen von der Gastfreundlichkeit seiner Bewohner, den kulturellen Schätzen und auch von der schwierigen Geschichte dieses Balkanlandes an der Grenze zwischen christlicher und muslimischer Welt.

„Kosovo: das Land der ungeahnten Möglichkeiten“ pflegte unser Reiseführer Harald Ziaja, Polizeibeamter aus Thüringen und Mitglied des „German Support Teams“, zu sagen, wenn er uns im Diplomatenbus von einem Ort zum nächsten fuhr. Harald Ziaja ist nicht zum ersten Mal bei einer Auslandsmission dabei, war u.a. in Bosnien und mehrfach im Kosovo. Er weiß um die Probleme, die das Zusammenleben vieler unterschiedlicher Ethnien in diesem kleinen Land mit sich bringt. Als Ansprechpartner für die Polizistinnen und Polizisten vor Ort kennt er die Belastungen, die ein solcher Einsatz für die Kolleginnen und Kollegen birgt, ebenso gut.

Im Einsatz für den Frieden

Wer sich für den Frieden einsetzt braucht Kraft, Geduld und einen langen Atem. Das gilt auch im Kosovo, wo rund 2.100 EULEX-Angehörige (EULEX – European Union Rule of Law Mission) aus den EU-Staaten und dem Kosovo den Auftrag haben, in einem von Krieg und seinen Folgen gebeutelten Land Sicherheit und Ordnung zu unterstützen und bei der Aufklärung von Kriegsverbrechen zu helfen. „Anleitung, Beobachtung und Inspektion“ lautet der Auftrag der EULEX-Mission im Kosovo, an der rund 140 deutsche Polizeibeamte und Mitarbeitende der Staatsanwaltschaften sowie zivile Expertinnen und Experten beteiligt sind.

„Es braucht eine hohe soziale Kompetenz, sich in eine fremde Kultur einzufühlen, sich mit den Einheimischen zu verständigen und dennoch die nötige Distanz zu wahren. Mit westlicher Arroganz kommt man hier nicht weit.“, erzählt er uns auf der Fahrt zum serbisch-orthodoxen Kloster Dečani, das wegen seiner wunderschönen Fresken aus dem 14. Jh. zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört. Hier gewährte uns Patre Pietro nach der Führung durch die Klosterbasilika monastische Gastfreundschaft in der guten Stube aus dem 19. Jh. Ruhig ist es hier, fast idyllisch. Man sitzt bei Tee und selbst gebranntem Rakia an langen Holztischen und könnte dabei glatt vergessen, dass das Kloster aus Angst vor Übergriffen rund um die Uhr von einem italienischen Militärposten bewacht wird.

 

Auf der Fahrt durch das Land werden die Folgen des Krieges manchmal noch auf erschreckende Weise deutlich: ausgeweidete Häuser stehen gleich neben futuristischen Bauten. In den Häusern hatten vor dem Krieg meist serbische Familien gewohnt. Als sie während des Krieges ihre Heimat verlassen mussten, wurde die Bausubstanz von der albanischen Bevölkerung als Baumaterial für das eigene Haus genutzt. Ebenso sehen wir Einschusslöcher serbischer Waffen an albanischen Häusern. Auch jetzt noch wird uns davon abgeraten, auf eigene Faust eine Wiese oder eine freie Grünfläche zu betreten. Es besteht die Gefahr, auf vermintes Gelände zu treten.

Mir wird klar: Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung hängen noch viel enger zusammen als ich bisher dachte. Die Luft ist so schadstoffbelastet, dass sogar das Papier, das man zuhause auspackt, nach Verbranntem riecht. Noch nie habe ich so viele streunende oder an der Straße liegende tot gefahrene Hunde gesehen wie in den vier Tagen im Kosovo. Wenn man selbst nicht so genau weiß, wie man mit seinem Geld auskommen soll, kann man sich nicht um fremde Tiere kümmern. Ein armes Land hat der Krieg zurückgelassen, in dem gerechte Strukturen erst mühsam aufgebaut werden. Und doch ist der wirtschaftliche Aufschwung genau so  sichtbar wie die allgegenwärtige Korruption.

Heiligabend im Hotel

Ein berührendes Erlebnis war der Gottesdienst am Heiligen Abend, den wir im Restaurant unseres Hotels in Priština gefeiert haben. Hier hatte der albanische Hotelchef alles daran gesetzt, uns am Heiligen Abend perfekte Rahmenbedingungen für einen stimmungsvollen Weihnachtsgottesdienst zu bieten: vom Kaminzimmer, einem blinkendem Weihnachtsbaum neben dem Altar über Blumenschmuck und Kerzen bis hin zum Buffet war alles vorhanden. Hilfsbereitschaft und Gastfreundschaft werden groß geschrieben, ganz gleich, welchem Glauben man angehört. Und so wurde der ökumenischen Heiligabendgottesdienst zu einem ganz besonderen interkulturellen Erlebnis. Die kleine Weihnachtsgemeinde, bestehend aus 35 Missionsteilnehmenden, vier Kindern und zwei Geistlichen sitzt in den Restaurantsesseln, lauscht Kirchenglocken und Orgelmusik vom Band, singt und betet, während der Muezzin draußen ebenfalls zum Gebet ruft.

Das Thema der Weihnachtspredigt war – natürlich – Gottes Kind in der Krippe, das in alles andere als friedliche Verhältnisse hinein geboren wird und doch allen Menschen Frieden auf Erden verheißt. Hans-Dieter Hein hatte ein Friedenslicht mitgebracht, das während des Gottesdienstes leuchtete. Am Ende des Gottesdienstes übergab er das Licht an Harald Ziaja, der es stellvertretend für die Missionsteilnehmenden entgegennahm.

Beim anschließenden Essen ergab sich die Gelegenheit zum Gespräch. Seit einiger Zeit habe sich die Sicherheitslage wieder verschärft, erzählt eine Polizistin, die bereits zum zweiten Mal an einer Auslandsmission im Kosovo teilnimmt. Ein Jahr lang wird sie, wie alle zum deutschen Kontingent gehörenden Kolleginnen und Kollegen, im Kosovo eingesetzt sein. Während zuhause „hoffentlich alles in geordneten Bahnen“ läuft, wohnt sie zusammen mit einer Kollegin in einem Appartement in Mitrovica. Ab und zu müssen die beiden ohne Wasser oder Strom – und damit auch ohne Heizung auskommen. „Aber auch das lässt sich irgendwie überbrücken“, meint sie. Mit dem gemeinsamen Essen am Heiligen Abend ist das Weihnachtsfest im Kosovo vorbei. Morgen wird wieder ein ganz normaler Tag sein und die Polizistin wird wieder im Dienst sein in Mitrovica, der Stadt mit der Brücke.

Bianca van der Heyden

Informationen zur EULEX im Kosovo:
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